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Boris Kochan

Boris Kochan

Gabriele Werner schreibt über ihre vielfältigen (Theken-)Begegnungen mit Boris Kochan



Der an der Theke lehnt

Helden, Schurken oder Cowgirls lümmeln an der Theke. Dahinter: Ein Barmann poliert Gläser, zieht an seiner Zigarre, schenkt Whiskey nach. Dichte Stimmwolken schwimmen durch den Saloon (Bar, Restaurant). Träges Tempo. Nur ein Blitzen im Augenwinkel verrät die Aufmerksamkeit des Barmanns: Schwingt die Tür auf? Der an der Theke lehnt, trägt einen schweren Ledermantel. Ich vermute, er ist sich seiner exponierten Stellung bewusst. Er übersieht den ganzen Raum, wirft Blickfäden zu anderen Gästen, verknüpft sie zu Mustern, verstrickt auch den Barmann ins dichter werdende Gewebe. Man sagt, er ist ein hervorragender Netzwerker.


­500 gr. Leberwurst umsonst für Sie!
Die Druckwerkstatt von Jürgen Höflich wäre so ein Ort gewesen, an dem wir uns schon in den frühen 80ern hätten begegnen können. Damals war ich Freiberufler (-in hatte noch keine besondere Dringlichkeit) und wollte den Offset-Druck begreifen. Jürgen hat mir eine Menge beigebracht und am Wochenende durfte ich sogar Siebdrucken – was mir Riesenspaß gemacht hat. Bei der Realisierung mittels Ulano-Folie half ein spezielles Arbeitsmittel: Da es Zirkel gewohnt waren, sich an diesem Ort gewissermaßen in Luft aufzulösen, hatte Jürgen auf jeder Teller-Rückseite den Durchmesser angegeben – sehr praktikabel. Boris kam bei Jürgen vorbei, um Druckaufträge realisieren zu lassen. Jürgens damalige Frau hatte mir hin und wieder Gestaltungsaufträge vermittelt und Kochan & Partner für die Umsetzung ans Herz gelegt. Ich erinnere mich etwa an einen Prospekt für »Luxana-Reisen«*. Ein Formsatz musste entstehen, der sich an einen Teller mit überhängen-den Leberwürsten schmiegen sollte. Zugegeben: Inhaltlich war das eher schlicht, aber satztechnisch – bei den damaligen technischen Möglichkeiten – eine wirkliche Herausforderung. Ich war auf stunden-langes Umschneiden und -kleben der Satzfahnen eingestellt. Nichts davon war notwendig.

* Luxana-Reisen organisierte sogenannte Kaffeefahrten mit abwechslungsreichem Programm, attraktiven Angeboten und hinreißenden Geschenken, in diesem Fall: »500 gr. Leberwurst umsonst für Sie!«


Nacht der Arbeit
Jürgen fragte, ob ich nicht einem Kollegen helfen könnte: Über Nacht zum ersten Mai müsse ein Magazin entstehen. Man würde bei Kochan & Partner allerdings nicht mit Papierfahnen (wie damals üblich), sondern gleich seitenverkehrt im Film arbeiten. Mir war das nicht geläufig. Und so fragte ich meine geschätzte Kollegin Anna, ob sie nicht mitkommen wollte. Wir trafen uns in der Briennerstraße, Boris zeigte uns das Magazin, überreichte uns eine Schachtel, in der Filmfahnen samt Bildern lagen und musste ganz schnell weg – »zum Abkassieren«*. Wir ordneten Texte und Bilder seitenverkehrt auf dem Satzspiegel an, um festzustellen, dass die Texte viel zu lang waren – sie passten unmöglich ins Format. Was tun? Sollten wir Bilder streichen? Absätze unter-schlagen? Die Zeit verging, wir entdeckten den Kühlschrank und machten uns über seinen Inhalt her. Dann öffnete eine Frau die Eingangstüre und sagte, dass sie nur die Regale** ausräumen würde und wir sollten uns nicht stören lassen. Wir waren einigermaßen irritiert. Und begannen gerade einen »Das-wird-nix-Zettel« zu schreiben, als Boris zurückkam. Er hörte sich unser Ungemach an, griff zur Schere und kürzte die Texte*** (beherzt) vom Ende her. Wir gestanden unseren Kühlschrank-Raub und machten uns auf den Weg im sicheren Wissen, nie wieder etwas von Kochan & Partner zu hören. Das war nicht so.

* Was wir nicht wussten: Boris war zu dieser Zeit auch stellvertretender Geschäftsführer im Cinema und in der Studentenkneipe Uhu mit entsprechenden allabendlichen Pflichten.
** Die ältere Frau war Frau Metzner. Sie half Kochan & Partner, den Umzug, der am nächsten Tag anstand, vorzubereiten.
*** Zum guten Journalismus gehörte es damals Artikel so zu schreiben, dass sie von hinten her Satz für Satz zu kürzen waren – und trotzdem geschlossen wirkten.




Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht
Ein Entwurf für ein Theaterplakat besiegelte unsere Zusammenarbeit. Boris hatte sich wohl etwas komplett Anderes vorgestellt, folgte aber meinem Vorschlag. Das zeichnet ihn bis heute aus: Das Gute im Anderen zulassen.


In Morpheus Armen
Die Gelegenheiten zu Schlafpausen sind rar. Zähe Besprechungen drängen sich da als Angebot geradezu auf. Ich lerne schnell: Ein Tritt gegen das Schienbein unterm Tisch hilft. Szenenwechsel. Laimer Straße, Nachtschicht. Eine Etage tiefer läuft das Entwicklungsgerät über und löst Alarm aus. Ich laufe hinunter. Unter dem Vorhang zur Dunkelkammer fließt bereits Entwicklerflüssigkeit. Inmitten einer Lache, umfangen von Morpheus Armen: Boris. Ich stelle den Alarm ab und lasse ihn schlafen.



Gabriele Werner
Nach ihrer Ausbildung an der Deutschen Meisterschule für Mode, München, erste Erfahrung als Grafikerin für Kunden wie Duscholux, Magirus Deutz oder ECM-Records. Seit 1986 bei Kochan & Partner, zunächst als Grafikerin und Illustratorin, später als Art und Kreativ Direktorin. Parallel Ausbau des grafischen Ateliers und des Konzept- und Textbereichs. Mitgestaltung der Agenturentwicklung vom damals fünfköpfigen Grafik- und Textteam zur Brandingagentur. Seit 1993 Mitglied der Geschäftsleitung, seit 2012 Mitglied der Geschäftsführung. Gabriele Werner unterstützt Unternehmen und Organisationen beim Aufspüren ihres Wesens und den Ableitungen für die Kommunikation, die Visualität, das Verhalten. Immer vom Menschen ausgehend öffnet Gabriele Werner neue Themenfelder und bezieht gesellschaftliche Entwicklungen, Einflüsse aus Kunst oder Philosophie mit ein. Das Einlassen auf unterschiedliche Stand- und Blickpunkte ist ihr ein besonderes Anliegen. Ihre Erfahrungen, Sichtweisen und Methoden teilt sie gerne, etwa in Seminaren und Workshops über Kreativitätstechniken oder als Dozentin an der Akademie Faber-Castell.